Türkei: Kriegsdienstverweigerer Aydemir freigelassen!

15 Monate Militärdienst oder drei Jahre Folter!

von Bianet

Der Kriegsdienstverweigerer Enver Aydemir wurde aufgrund eines „Untauglichkeitsgutachtens“ freigelassen. Sein Anwalt kritisierte das Fehlen einer gesetzlichen Regelung zur Kriegsdienstverweigerung. Die Türkei ist eines von drei Ländern des Europarates, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen.

Enver Aydemir wurde nach drei Jahren Folter, Unterdrückung und Strafverfolgung schließlich aufgrund eines “Untauglichkeitsgutachtens“ eines Militärkrankenhauses aus der Armee entlassen. Aydemir hatte aus religiösen Gründen den Kriegsdienst verweigert.

Er wurde am 9. Juni aus dem Militärgefängnis in Eskişehir (Nordwest-Anatolien) entlassen. Im Anschluss führte er beim Menschenrechtsverein in Istanbul eine Pressekonferenz durch. Er machte deutlich, das nicht er untauglich sein, sondern das Rechtssystem, das das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkenne.

2007 hatte Aydemir erklärt, dass er den Militärdienst aus Gewissensgründen nicht ableisten werde. Zunächst schickte ihn die Armee fort. Später wurde er als „Deserteur“ verhaftet und nach drei Monaten Haft wieder freigelassen. Im Dezember 2009 kam Aydemir nach Istanbul, um auf einer Veranstaltung der #Plattform zur Kriegsdienstverweigerung zu sprechen. Bei einer Kontrolle wurde er verhaftet und nach weiteren drei Monaten Haft zu seiner Einheit gebracht. Dort verweigerte er das Tragen einer Uniform. Er wurde wegen Befehlsverweigerung angeklagt und verbrachte einen weiteren Monat im Gefängnis.

Es gibt keine entsprechenden Gesetze

Rechtsanwalt Davut Erkan kritisierte das Rechtssystem. „Der Gesetzgeber agiert entsprechend der offiziellen Ideologie. Deshalb ziehen sie nicht die Möglichkeit in Erwägung, das Menschen ihren Militärdienst verweigern. Die Gesetzgebung besagt überhaupt nichts zur Kriegsdienstverweigerung. Diejenigen, die sich nicht beim Militär melden, selbst wenn sie noch nicht das Dienstalter erreicht haben, werden ‚Militärdienstentzieher‘ genannt. Wenn sie zu ihren Einheiten kommen, werden die neuen Wehrpflichtigen wegen Desertion bestraft, weil sie bei ihrer ersten Musterung nicht anwesend waren. Aber da sie noch gar nicht Soldaten geworden sind, kann dies doch nicht als ein militärisches Vergehen angesehen werden.“ Erkan gab zu verstehen, dass sein Mandant niemals Soldat geworden ist. Trotzdem wurde er von einem Militärgericht verurteilt. Die Anträge, dass es dafür gar keine Rechtsgrundlage gäbe, wurden zurückgewiesen. Das stellt nach Auffassung des Anwaltes „Unrecht“ dar.

„Der Staat wird von Sicherheitsparanoia regiert“

Oğuz Sönmez von der #Pazifistischen Gruppe betonte, dass die Diagnose von einer „antisozialen Persönlichkeitsstörung“, die bei Aydemir festgestellt worden sei, jeder Berechtigung entbehrt: „Das ist die Ausrede, um diejenigen loszuwerden, die auf ihrer Verweigerung bestehen“. Er ergänzte, dass die Türkei verschiedene internationale Abkommen unterzeichnet hat, womit sie auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt habe: „Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erkennen dieses Recht an. Von den 47 Ländern des Europarates erkennen nur die Türkei, Weißrussland und Aserbaidschan das Recht nicht an.“

Kriegsdienstverweigerung

Zu einem Treffen der #Plattform waren im Mai 29 Personen gekommen. Die Gesamtzahl der Kriegsdienstverweigerer in der Türkei beträgt 118. Im Falle von Osman Murat Ülke hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Entziehung aller zivilen Rechte von Kriegsdienstverweigerern eine Verurteilung zu einem „zivilen Tod“ darstelle. Die Türkei hat immer noch keine Regelungen getroffen, um dem abzuhelfen. Kriegsdienstverweigerer wie auch Journalisten und Aktivisten, die sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen, werden oft nach Artikel 315 des Türkischen Strafgesetzbuches wegen „Distanzierung des Volkes vom Militär“ vor Gericht gestellt.

Der 36-jährige Aydemir, Vater von zwei Kindern, wurde während seiner Haft in Maltepe (Istanbul) gefoltert. Er erstattete deswegen Anzeige. Es wird davon ausgegangen, dass der Fall in den kommenden Tagen verhandelt wird.

Bianet: Conscientious Objector Free! 11. Juni 2010. Übersetzung: Rudi Friedrich. http://www.bianet.org/english/human-rights/122665-15-months-of-military-service-or-3-years-of-torture

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