Kolumbien - Kriegsdienstverweigerung in einem bewaffneten Konflikt

von Andreas Speck, War Resisters

Einleitung

Die Arbeit der War Resisters‘ International (WRI) zur Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien hat einen lange Geschichte – die WRI war an der Solidaritätsarbeit für Luis Gabriel Caldas León1 im Jahr 1995 beteiligt. Eine engere Zusammenarbeit mit der Kriegsdienstverweigerungsbewegung in Kolumbien begann jedoch 2006 mit der Entwicklung einer gemeinsamen Strategie.2 Neben der Begleitung und Unterstützung in konkreten Fällen – insbesondere in Fällen der Rekrutierung von Kriegsdienstverweigerern – war die WRI auch in der Lobbyarbeit bei internationalen Institutionen und mit der kolumbianischen Regierung tätig.

../bilder/insert/REDJUVENILIMG_0252-1.jpgSeit 1995 hat sich der rechtliche Rahmen für Kriegsdienstverweigerung in Kolumbien verbessert. Die wichtigste Veränderung ist, dass im Oktober 2009 das Verfassungsgericht Kolumbiens urteilte, dass es in Kolumbien nach der kolumbianischen Verfassung ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Das ist eine signifikante Änderung im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Gerichts3. Das Gericht forderte den kolumbianischen Kongress auf, ein Gesetz zu verabschieden, mit dem dieses Recht umgesetzt und reguliert werden würde. Hiermit beginnen die Probleme, doch mehr dazu später.

Der zweite positive Aspekt ist eine Klarstellung zur Illegalität der üblichen Rekrutierungsform der ‚batida‘ durch die Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen der Vereinten Nationen. Sie erklärte 2008, dass „die Praxis der batidas oder Rekrutierungskontrollen, bei denen junge Männer, die keinen Nachweis ihres Militärdienststatus‘ vorzeigen können, auf der Straße oder öffentlichen Plätzen festgenommen werden, weder eine rechtliche Grundlage hat, noch eine legale Basis.“4 Außerdem forderte das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen in seinen abschließenden Bemerkungen vom Juli 2010 von Kolumbien, die Praxis der ‚batidas‘ zu revidieren.5 Das kolumbianische Militär sah sich daher gezwungen, wiederholt zu erklären, dass es keine ‚batidas‘ durchführe.6 Die Praxis sieht jedoch anders aus.7

Aktuelle Situation

In einem Land wie Kolumbien, mit großen regionalen Unterschieden, stellt sich die Situation für Kriegsdienstverweigerer sehr verschieden dar, z.B. zwischen den großen Städten und ländlichen Regionen oder auch in den Städten selbst zwischen den wohlhabenderen Stadtteilen und den ärmeren Vierteln.

Am 19. Mai 2010 erreichte ich die Hauptstadt Bogotá und nahm am 2. Juni an einer internationalen Konferenz teil, zu der mich die Acción Colectiva de Objetores y Objetores de Conciencia (ACOOC)8 eingeladen hatte. Die Konferenz war von ACOOC gemeinsan mit der schwedischen Organisation Civis, der Grupo de Derecho de Interés Público Universidad de los Andes, und CINEP - Centro de Investigación y Educación Popular organisiert worden. Eines der Ziele war die Analyse der rechtlichen und praktischen Situation der Kriegsdienstverweigerung nach dem Urteil des Verfassungsgerichts. Das fiel jedoch sehr schwer, da bis heute – neun Monate nach dem Urteil – nur die Pressemitteilung des Gerichtes erhältlich ist.9

Auf der Konferenz sprachen eine Reihe internationaler und nationaler RednerInnen. In meiner eigenen Präsentation konzentrierte ich mich auf die möglichen Strategien und Herausforderungen für die Kriegsdienstverweigerungsbewegung nach dem Urteil. Ich betonte die Notwendigkeit, Kriegsdienstverweigerung als antimilitaristische Perspektive zu propagieren und warnte vor einer Lobbyarbeit für ein Gesetz, da es im derzeitigen politischen Klima mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr schlecht sein würde, und weit davon entfernt, die internationalen Standards umzusetzen.10

Ein anderer Aspekt ist die Rekrutierungspraxis. ACOOC dokumentiert nicht nur ‚batidas‘, sondern auch Regelverstöße bei den normalen „jornadas de reclutamiento“, den vier Mal im Jahr stattfindenden Rekrutierungskampagnen. Auch wenn dies die legale Form der Rekrutierung darstellt, so werden Jugendliche, die sich bei den Rekrutierungszentren melden, oft nicht über ihre Rechte informiert. Gesundheitsprobleme oder Freistellungs- sowie Zurückstellungsgründe werden ignoriert. ACOOC informiert daher über die Illegalität der ‚batidas‘ und die Rechte der Jugendlichen bei der Rekrutierung.

An einem Abend fuhr ich nach Soacha, einer kleinen Stadt am Rande Bogotás. Dort wurde ein Bericht vorgestellt, der Fälle von 16 sogenannten „falschen Positiven“ dokumentiert, normale Jugendliche oder gar Wehrpflichtige, die vom Militär ermordet und dann als Mitglieder der Guerilla präsentiert wurden.11 Diese 16 Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs – Schätzungen gehen bon bis zu 3.000 Fällen aus. Aufgrund der Gewalterfahrungen denken in Soacha viele Jugendliche daran, ihre Kriegsdienstverweigerung zu erklären.12

Nach meinem Aufenthalt in Bogotá reiste ich nach Sincelejo im Bezirk Sucre, zu einem Treffen mit AktivistInnen von PazCaribe13 und Red Juvenil Sincelejo. Sincelejo ist ein kleiner Ferienort an der karibischen Küste in der Nähe von Montes de Maria. Die dortige Situation unterscheidet sich stark von der in Bogota. PazCaribe Sincelejo arbeitet in Montes de Maria, einer kleinen Region im Norden der Bezirks Sucre und Bolivar, die als Ort des Peace Laboratorio III der Europäischen Kommission ausgewählt wurde.14

Das Land der 15 Gemeinden in den Departments Sucre und Bolivar ist eines der besten im Land. Die Zone ist von strategischer Bedeutung, mit felsigen Gebieten und vielen Möglichkeiten, sich zu verstecken. Es liegt zwischen Coca produzierenden Regionen, nahe der Karibischen See. Während in Montes de Maria selbst kein Coca angebaut wird, ist aber der Golf von Morrosquillo schon lange Ausgangspunkt für Boote, die mit Tonnen von Kokain beladen sind.

Auf Grund des fruchtbaren Bodens besteht wachsendes Interesse am Anbau von Ölpalmen (palma africana) für die Produktion von Palmöl und von Zuckerrohr für die Produktion von Ethanol. Beides hat gravierende ökologische und soziale Auswirkungen. Im Interesse des Agrobusiness müssen lokale Bauern vertrieben werden, um Platz für den Anbau von Ölpalmen und Zuckerrohr zu schaffen.

In der Konsequenz war die Region in der letzten Dekade Schauplatz von Gewalt und Vertreibung, im Wesentlichen als Folge von Aktionen der Guerilla, Paramilitärs, sowie des kolumbianischen Militärs. Erst in den letzten Jahren kehrten einige der Vertriebenen zurück. Im Mai 2010 wurde der Vorsitzende der regionalen Organisation der Opfer, Rogelio Martínez, von Paramilitärs ermordet.15

Dies ist der Kontext in Sucre und insbesondere in Montes de Maria. PazCaribe, und insbesondere Red Juvenil PazCaribe, arbeiten mit Jugendlichen in Montes de Maria im Wesentlichen zu Empowerment und der Prävention von Rekrutierung („Si Quieres la Paz? No te Prepares para la Guerra!!!“ – Wenn Du wirklich Frieden willst, dann bereite Dich nicht auf Krieg vor!!!). Bei dieser Arbeit nutzen sie Kunst und Musik als eine Form, die Bedürfnisse und Ideen der Jugendlichen auszudrücken.

Red Juvenil PazCaribe ist eine aktive Bewegung, die mit Jugendlichen, Organisationen, Kirchen, Einzelpersonen und Gruppen arbeitet, die an den Aufbau einer besseren Karibik glauben, und sich daher bewusst allen Ausdrucksformen und Aktionen, die Gewalt fördern, verweigern. Neben der Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung organisiert Red Juvenil PazCaribe Workshops zu aktiver Gewaltfreiheit.16

Derzeit diskutieren die WRI und PazCaribe, wie der Besuch von Kurzzeit-Freiwilligen nach Sincelejo organisiert werden kann, sowie die Möglichkeit anderer Formen der Solidarität. Außerdem gibt es die Idee einer Rundreise von Kriegsdienstverweigerern aus Sucre und Bolivar nach Europa oder den USA.

Barrancebermeja, mein nächstes Ziel, ist eine Industriestadt am Rio Magdalena, in der Region Magdalenia Medio im Department Santander. In Barrancabermeja befindet sich die größte Ölraffinerie Kolumbiens, die der staatlichen Ölgesellschaft Ecopetrol gehört. Öl und Landwirtschaft sind die wesentlichen wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt.

Der Ort war Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen in Kolumbiens Bürgerkrieg. Am 16. Mai 1998 zog eine große Gruppe Paramilitärs durch die Stadt, tötete elf Menschen und entführte 25, die später ebenfalls ermordet wurden. Dieses Massaker markierte den Anfang der Übernahme der Stadt durch die Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), dessen Höhepunkt im Jahr 2001 war. Im letzten Jahr der Invasion wurden 539 Menschen getötet. Auch wenn die AUC offiziell 2006 demobilisiert wurde, so sind doch Nachfolgegruppen wie die Aguilas Negras (Schwarze Adler) weiter aktiv. Es gibt häufig Todesdrohungen gegen MenschenrechtsaktivistInnen. Die Revolutionary Armed Forces of Colombia (FARC), die größte Guerilla-Gruppe Kolumbiens, ist auch weiterhin im Hügelland in der Umgebung der Stadt aktiv.

Die örtliche Kriegsdienstverweigerungsgruppe Quinto Mandamiento17 entwickelte sich aus der Organización Feminina Popular18, eine der größten Frauenfriedensorganisationen des Landes. Die Arbeit von Quinto Mandamiento in den letzten Jahren ist sehr beeindruckend. Mein erster Besuch in Barrancabermeja war im Mai 2007, als der Kriegsdienstverweigerer Carlos Andres Giraldo Hincapie19, der in einer ‚batida‘ rekrutiert worden war, gezwungen wurde, seinen Militärdienst in Barrancabermeja abzuleisten. Damals trafen wir uns mit den lokalen Offizieren des Militärs, die darauf bestanden, dass seine Rekrutierung legal gewesen sei. Auch wenn die Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen der Vereinten Nationen dem widersprach20, so kam dies doch zu spät für Carlos Andres Giraldo Hincapie.

Am 3. Juni trafen wir uns erneut. Anwesend war das Militär, aber auch VertreterInnen verschiedener nichtstaatlicher Organisationen und des Büros des Bürgermeisters, das seit der Wahl von Carlos Alberto Contreras im Jahr 2007 fortschrittlicher ist. Während des Treffens wurde sehr klar, dass sich das Militär unter einem Rekrutierungsdruck befindet, und sich ohne ‚batidas‘ nicht in der Lage sieht, ausreichend zu rekrutieren, schlicht und einfach, weil viele Jugendliche dem Aufruf nicht folgen. Folglich leugneten die lokalen Kommandeure die Illegalität der ‚batidas‘, obwohl das nationale Rekrutierungsbüro sowie das Verteidigungsministerium dazu klar Stellung bezogen haben.

Auch wenn derzeit Einigkeit zu bestehen scheint, dass bekannte Mitglieder von Quinto Mandamiento nicht rekrutiert werden, so ist das trotzdem problematisch. Auf der einen Seite ist es fraglich, ob es klug ist, dem Militär die Namen und ID-Nummern von Kriegsdienstverweigerern zu geben. Auf der anderen Seite kann auch jemand, der nicht auf der Mitgliederliste von Quinto Mandamiento ist, Kriegsdienstverweigerer sein. Als ich darauf bestand, dass auch bereits Dienst leistende Wehrpflichtige eine Kriegsdienstverweigerung entwickeln können, und das Recht zur Anerkennung haben, konnte man in ihren Gesichtern sehen, dass ihnen das überhaupt nicht gefiel.

Auch für Barrancabermeja war eine Konferenz zum Thema Kriegsdienstverweigerung organisiert worden. Etwa 200 Personen – im Wesentlichen Jugendliche – nahmen an der Konferenz teil. Die Beiträge konzentrierten sich mehr auf das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, und die Rechte Jugendlicher bei der Rekrutierung.

Am nächsten Morgen hatten wir ein Treffen, an dem Mitglieder einer Jugendgruppe aus der Umgebung von Barrancabermeja, Quinto Mandamiento, Red Juvenil de Medellín, ACOOC, Civis, und die WRI teilnahmen. Die Berichte, die wir dort hörten, insbesondere aus den ländlichen Gebieten, machten sehr deutlich, dass die Rekrutierung durch das Militär einen Angriff auf die Freiheit Jugendlicher darstellt. Das Militär ist immer dort präsent, wo sich Jugendliche treffen – bei Fußballspielen, Konzerten, Fiestas, usw. Da das bei Militär bei solchen Veranstaltungen die Papiere von Jugendlichen überprüft, ist es für junge Männer riskant, auszugehen und sich zu vergnügen – sie könnten sich schnell beim Militär wiederfinden.

Nach meinem kurzen Aufenthalt in Barrancabermeja reiste ich nach Cali, um die dortige kleine Kriegsdienstverweigerungsgruppe – das Colectivo Objetarte21 – zu besuchen. Die Gruppe war schon immer klein, doch derzeit ist sie besonders schwach und konzentriert sich mehr auf kulturelle Aktivitäten um Gewaltfreiheit und Kriegsdienstverweigerung zu propagieren. Als ich da war, stand gerade ein Konzert, geplant für den 20. Juli, an.

Etwa 30 Minuten von Cali entfernt liegt Villa Rica, eine kleine Stadt mit Afro-kolumbianischer Bevölkerung in Norte del Cauca. Dort arbeiten zwei Organisationen zum Thema Kriegsdienstverweigerung: die Corporacion Colombia Joven, und Fundacion Villa Rica, besser bekannt unter dem Namen eines ihrer kulturellen Projekte, der Hip Hop-Gruppe Soporte Klan. Ein wichtiger Teil der Arbeit beider Organisationen ist die Wiederentdeckung des kulturellen Erbes der Afro-KolumbianerInnen, die als SklavInnen nach Kolumbien gebracht wurden, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Die Sklaverei wurde erst 1851 abgeschafft, und Villa Rica war eine der letzten Städte, in denen SklavInnen ihre Freiheit erhielten.

Bis heute ist Villa Rica von Zuckerrohr umgeben, und nur wenige Familien sind noch im Besitz von Land, und bauen auf ihrer Finca ihr Obst und Gemüse an. Vor Jahrzehnten wurden die meisten gezwungen, ihr Land an die Zuckerbarone zu verkaufen.

In der Vergangenheit funktionierte der Landraub der Zuckerbarone auf eine kluge, aber sehr schmutzige Art und Weise: Wenn sich eine Familie weigerte, ihr Land zu verkaufen, dann wurde ihr Land aus der Luft mit Pestiziden begast, um die Ernte zu zerstören. Ohne eine Ernte war die Familie ein leichtes Opfer der Agenten der Zuckerbarone, die ihnen Geld für die Verpachtung des Landes für eine Anbauperiode anboten. Dann wurde Zuckerrohr angebaut, und es wurden viele Pestizide eingesetzt, so dass nach der Rückgabe des Landes der Boden ausgelaugt war, und die Familie es nicht für den eigenen Anbau nutzen konnte. Und so schickten die Zuckerbarone erneut ihre Agenten und boten an, das Land zu kaufen – aber billig. Viele Familien sahen keine andere Option - und verkauften. Druck und Drohungen von Paramilitärs wurden eingesetzt, um den Verkaufsdruck zu erhöhen.

Heute gibt es wieder Druck auf die verbleibenden Familien, ihr Land zu verkaufen. Soporte Klan hat eine Kampagne unter dem Titel Haga que pase (Mach, dass es geschieht) begonnen, um diese Familien zu unterstützen, und um einen Teil des Landes, das verloren gegangen ist, zurückzufordern. Das hat auch viel mit der Arbeit gegen Rekrutierung zu tun. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation vieler EinwohnerInnen von Villa Rica wird der Militärdienst, trotz schlechter Bezahlung, oft als Weg aus der Armut angesehen – zumindest muss für die Zeit des Militärdienstes für eine Person weniger für Essen und Unterkunft gesorgt werden.

Der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, Medellín, galt mein nächster Besuch. Dort liegt eines der Zentren der kolumbianischen Kriegsdienstverweigerungsbewegung. Red Juvenil de Medellín22 ist ein Jugendnetzwerk, das auch die Kriegsdienstverweigerung propagiert, neben ihrer Arbeit zu nicht-formaler Bildung, aktiver Gewaltfreiheit, und Kunst und Musik im Widerstand.

In den Armenvierteln Medellíns und an Verkehrsknotenpunkten des öffentlichen Verkehrs finden häufig ‚batidas‘ statt. Doch neben der Rekrutierung durch das offizielle Militär wird auch von Paramilitärs, Drogenkartellen, und Guerilla rekrutiert. Gewalt und Kriminalität sind weit verbreitet – und im Wesentlichen trifft es die Armen als TäterInnen und Opfer. Die wohlhabenderen Schichten leben in Wohnvierteln mit privaten Sicherheitsdiensten, umgeben von elektrischen Zäunen.

Red Juvenil hat viel zur Aufklärung Jugendlicher über ihre Rechte bei der Rekrutierung gearbeitet, wie auch zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Als Teil dieser Arbeit gehen sie zu den Zeiten der Rekrutierungskampagnen zu den Militärbüros, verteilen Informationen und sprechen mit Jugendlichen, die dort in der Schlange stehen und die sich ihrer Rechte oft nicht bewusst sind. Red Juvenil bietet auch rechtliche, politische und moralische Unterstützung für Verweigerer oder für junge Menschen, die gegen ihren Willen rekrutiert wurden. Für die Organisation ist die Kriegsdienstverweigerung Teil ihrer antimilitaristischen Perspektive, einer Lebensperspektive, die auf Gewaltfreiheit beruht.

Wie weiter nach dem Urteil des Verfassungsgerichts?

Auch wenn das Urteil des Verfassungsgerichts einen bedeutenden Sieg darstellt, so stellen sich damit neue Fragen. Ein Problem im Moment ist, dass der Wortlaut des Urteils noch nicht bekannt ist. Somit ist immer noch nicht bekannt, welche Einschränkungen des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung vom Gericht als legitim angesehen werden. Für die Zeit vor der Verabschiedung eines Gesetzes durch den Kongress Kolumbiens weist das Gericht auf das Rechtsmittel der Tutela (gerichtliche Verfügung) hin, für Fälle, in denen das Militär das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht respektiert. Wie dies in der Praxis funktionieren wird, und wie das insbesondere angesichts der ‚batida‘ funktionieren kann, muss abgewartet werden. Wird ein Verweigerer, der während einer ‚batida‘ rekrutiert wurde, vom Militär entlassen, während der Antrag auf gerichtliche Verfügung noch nicht entschieden ist? Oder wie wird das funktionieren?

Das zweite Problem ist schwieriger zu lösen, da es mit den unterschiedlichen politischen Perspektiven der Kriegsdienstverweigerungsgruppen und ihrer UnterstützerInnen – anderen Organisationen und Universitäten –in Bezug auf ein Kriegsdienstverweigerungsgesetz zusammenhängt. Während sich alle Gruppen darüber einig sind, dass das Urteil des Verfassungsgerichts einen Fortschritt darstellt, so sind sie sich doch nicht über eine Strategie in der derzeitigen Situation einig. Sollen sie sich, und wenn ja wie, im Gesetzgebungsverfahren einbringen? Welche Einschränkungen des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung können akzeptiert werden? Und wie steht es mit einem Ersatzdienst?

Gruppen, die mehr aus einer Tradition gewaltfreien Widerstands herkommen, wie z.B. Red Juvenil, sind gegen ein Kriegsdienstverweigerungsgesetz, da damit die Kriegsdienstverweigerung reguliert und eingeschränkt würde. Andere sind besorgt, was denn in einem Gesetz drinstehen wird, sind aber nicht so deutlich gegen ein Gesetz. Und andere wiederum sind eindeutig für ein Gesetz, und sehen es als einen wichtigen ersten Schritt an.

Mehr als nur die Verweigerung des Militärdienstes

Für die meisten Kriegsdienstverweigerungsgruppen in Kolumbien geht es um mehr als die bloße Verweigerung des Militärdienstes. Auch wenn es zur Strategie und Taktik wichtige Unterschiede gibt – nicht nur zum Ersatzdienst, sondern allgemeiner zur Rolle eines Gesetzes, und über den Weg zu einem solchen Gesetz – so sind sie sich doch einig in ihrer Opposition zu allen bewaffneten Akteuren im Konflikt in Kolumbien, ob sie mit dem Staat zusammenhängen (Armee und Paramilitärs), oder mit irgendeiner der Guerilla-Gruppen (FARC und ELN sind die zwei wichtigsten, doch nicht die Einzigen).

Gewaltfreiheit als Lebensperspektive, aber auch als Strategie des Widerstandes, ist eine wichtige Grundlage ihrer Arbeit. Aus dieser Gewaltfreiheit erwächst auch die Kritik an der strukturellen Gewalt in Kolumbien (und global), die den bewaffneten Konflikt weiter anfeuert. Viele der armen Menschen sehen keine andere Option, als sich einer der bewaffneten Gruppen anzuschließen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Reichen brauchen die Armee und die Paramilitärs, um ihre Interessen durchzusetzen.

Kriegsdienstverweigerung ist ein Weg, um Widerstand gegen den Kreislauf der Gewalt zu leisten, der das Land in einem bewaffneten Konflikt gefangen hält. Viele Menschen sind dessen müde, sehen aber keinen Ausweg. Oder sie wählten bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen Santos, der eine militärische Lösung des Konflikten befürwortet. KriegsdienstverweigererInnen zeigen einen anderen Weg auf: Verantwortung zu übernehmen, dem Militarismus zu widerstehen und Gewaltfreiheit zu propagieren.

Fußnoten

1 Siehe z.B. http://www.wri-irg.org/programmes/world_survey/reports/Colombia

2 Siehe CO-Update No 29, Mai 2007, http://wri-irg.org/node/1116, und Das Zerbrochene Gewehr No 74, Mai 2007, http://wri-irg.org/pubs/br74-de.htm

3 Siehe CO-Update No 52, November-December 2009, http://wri-irg.org/node/9188

4 Working Group on Arbitrary Detention: Opinion 8/2008 (Colombia), 8 May 2008, http://wri-irg.org/node/10513

5 Siehe CO-Update No 58, August 2010, http://wri-irg.org/node/10676

6 Siehe z.B.: Caracol Radio: Se pronuncia dirección de reclutamiento del Ejército, 3. Oktober 2008, http://www.caracol.com.co/nota.aspx?id=683186, Zugriff am 6. August 2010

7 Siehe z.B.: El Tiempo, edicion Caribe: Pánico en Montería por extraño caso de reclutamiento de jóvenes por el Ejército, 26. November 2009, http://www.eltiempo.com/colombia/caribe/ARTICULO-PRINTER_FRIENDLY-PLANTILLA_PRINTER_FRIENDL-6681347.html, Zugriff am 6. August 2010; Siehe auch: War Resisters‘ International: Military Recruitment and Conscientious objection in Colombia, Report to the Human Rights Committee, 97th Session, London, August 2009, http://wri-irg.org/node/8442

8 http://www.objetoresyobjetorasdeconciencia.org/

9 Siehe http://www.corteconstitucional.gov.co/comunicados/No.%2043%20Comunicado%2014%20de%20Octubre%20de%202009.php, Zugriff am 10 August 2010

10 Andreas Speck: Implementación del derecho a la Objeción de Conciencia: Experiencias de la IRG, 2 June 2010, http://wri-irg.org/node/10569, Zugriff am 10. August 2010

11 Download unter http://fedescolombia.org/docs/Informe%20Falsos%20Positivos%20e%20Impunidad.%20FEDES.pdf

12 E-Mail Martin Rodriguez, 14. Juli 2010

13 http://pazcaribe.org

14 Nach Angaben der Europäischen Kommission unterstützten die Friedenslaboratorien, die seit 2002 von der EU implementiert werden, lokale Initiativen und zielen darauf ab, Gebiete des Friedens, des Zusammenlebens, der wirtschaftlichen Entwicklung und der Versöhnung zu schaffen. Die ausgewählten Regionen weisen jedoch auch auf strategische und wirtschaftliche Interessen hin. Siehe: European Commission: COLOMBIA COUNTRY STRATEGY PAPER, 2007-2013, http://www.eeas.europa.eu/colombia/csp/07_13_en.pdf, Zugriff am 6. August 2010

15 Siehe z.B.: El Universal Sincelejo: Responsabilizan a autoridades del asesinato de líder, 20 May 2010, http://www.eluniversal.com.co/v2/print/45465, Zugriff am 6. August 2010; El Tiempo: Ya son 45 los líderes de víctimas asesinados por reclamar sus tierras; en 15 días murieron tres, 2. Juni 2010, http://www.eltiempo.com/colombia/justicia/ARTICULO-PRINTER_FRIENDLY-PLANTILLA_PRINTER_FRIENDL-7737280.html, Zugriff am 6. August 2010

16 PazCaribe: Cultura de Paz, http://pazcaribe.org/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=38&Itemid=56, Zugriff am 10. August 2010

17 http://objecioncolombia.org/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=29&Itemid=54⟨=es

18 http://www.ofp.org.co/

19 Siehe http://wri-irg.org/node/2892

20 Siehe Opinion No 8/2008 (Colombia), http://wri-irg.org/node/10513

21 http://objecioncolombia.org/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=24&Itemid=47⟨=es

22 http://www.redjuvenil.org

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2010

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