Lassen die Regierungen Eritreas und Äthiopiens ihre Völker wieder im Stich?

von Abraham Mehreteab

(20.12.2007) Als der erste Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien im Mai 1998 ausbrach, bereitete ich meinen Universitätsabschluss für Rechtswissenschaften in Asmara vor. Ich stellte mich auf die Konfrontation mit der realen Welt ein, nachdem ich einige Jahre für all die theoretischen Diskurse in der Universität gewesen war. Ich wollte mit Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeiten. Aber ich wusste auch von Anfang an, dass es für mich keine Wahl der Arbeitsstelle geben würde, angesichts dessen, dass ich einer der ersten war, die das Studium abschlossen. Der Justizminister hatte bereits entschieden, wo mein Platz im Ministerium sein sollte. Das war kein großes Problem für mich. Ich begann im September 1998 als Wissenschaftler im Justizministerium in der Abteilung für Bevölkerung und Entwicklung zu arbeiten.

Die erste größere Herausforderung war für mich, neben der neuen Arbeit, der Beginn des scheinbar unerwarteten Krieges mit Äthiopien. Der Krieg begann offiziell im Mai 1998, obwohl die eritreische Regierung später berichtete, dass es einige Zwischenfälle in Adi Murug im Juni 1997 gegeben habe. Die Stimmung hatte sich bei allen völlig geändert. Freunde, Verwandte und Kommilitonen, alle gingen an die Front. Alle Lieder und Programme im Radio stimmten auf den Krieg ein. Der Tag meines Universitätsabschlusses bekam einen schalen Beigeschmack und wurde zu einem unglücklichen Ereignis. Normalerweise findet an diesem Tag ein Fest statt. Aber zu dieser Zeit war alles von dem Konflikt zwischen den beiden Staaten überdeckt. Meine Eltern mögen über meinen Abschluss glücklich gewesen sein. Ich hatte das Gefühl, dass es für mich ein Wendepunkt war, ob ich meine Vorstellungen als Student erfüllen und das Gelernte anwenden könnte.

Ich versuchte mit Freunden und Kommilitonen über den Grenzkonflikt und die Situation zu diskutieren, in der unsere Bevölkerung im Falle eines totalen Krieges geraten würde. Ich folgte ständig den Nachrichten auf allen Kanälen des eritreischen Radios und Fernsehen, den offiziellen Verlautbarungen und den Berichten der internationalen Nachrichtenagenturen. In der Diskussion mit meinen Freunden stimmten wir in einigen Punkten überein, in anderen nicht. Von Anfang an war meine Position, dass die Konfrontation zwischen Eritrea und Äthiopien an der Grenze ein Test für die Führungsfähigkeit beider Länder sei. Hier werde sich herausstellen, wie weit sie sich für das Wohlergehen ihrer Bevölkerung einsetzen, insbesondere für die Armen, die täglich ihr Überleben sichern mussten. Mehr noch, es war auch eine Zeit, mit der beurteilt werden könnte, wie weit sich die beiden Regierungen sich selbst von den Traditionen der Regierungen vorheriger Generationen abwendeten. Wie würden sie mit schwierigen Fragen umgehen, die die Bevölkerung der Region in einem totalen Krieg verschlingen könnte? Ich glaubte auch, dass es keinen Sieger und Besiegten in diesem Krieg geben werde, sondern dass vor allem die Jugendlichen davon betroffen wären, die die Hoffnung für die Zukunft beider Staaten sein könnten. Das Ergebnis war auf beiden Seiten vernichtend. Es beantwortete alle meine Fragen und bestätigte meine Befürchtungen. Ich verlor mein Vertrauen in die Regierungen Eritreas und Äthiopiens.

Vor der unermesslichen Zerstörung der beiden Länder gab es eine Reihe von Initiativen und Friedensvorschlägen aus anderen Ländern und von regionalen Organisationen. Am Ende wurden all diese Vorschläge aus verschiedenen Gründen von beiden Regierungen verworfen. Das geschah nicht, weil die Initiativen in ihrer Substanz und im Verfahren unzureichend gewesen wären. Aber es gab auf beiden Seiten keine Bereitschaft, den Konflikt auf friedliche Art und Weise zu lösen.

Anfang Februar 1999 zeigte die Regierung von Eritrea keinerlei Interesse, eine friedliche Lösung zu akzeptieren, da sie auf die Streitkräfte vertraute, um einen Angriff Äthiopiens abzuwehren. Die Regierung rühmte sich ihrer militärischen Fähigkeiten, bis diese im Februar 1999 ernsthaft getestet wurden.

In ähnlicher Weise schien später auch die äthiopische Regierung beschlossen zu haben, keine friedliche Lösung auf den Weg zu bringen, da sie auf dem Schlachtfeld militärisch die Oberhand zu haben schien. Erst als es unermessliche Zerstörungen auf beiden Seiten gab, kamen beide Parteien an den Tisch und unterzeichneten ein Friedensabkommen, um den zweijährigen blutigen Krieg zu beenden. Beide Länder verloren Zehntausende von Soldaten und Zivilisten in dem sogenannten Grenzkrieg von 1998 bis 2000. Er wurde durch das Abkommen von Algier im Juni und Dezember 2000 beendet.

Durch beide Regierungen wurden eine Grenzkommission zur Festlegung und Demarkation der Grenze der beiden Länder und eine Entschädigungskommission eingesetzt. Es wurde vereinbart, dass die Entscheidung der Kommission bindend und endgültig sei. Aufgrund des Friedensabkommen ist seit sechs Jahren zudem eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen entlang der Pufferzone zwischen den beiden Staaten eingesetzt, was den westlichen Steuerzahlern mehr als 1 Milliarde US-Dollar kostete.1

Die Grenzkommission konnte ihre Arbeit nicht beenden, da die Parteien keine Bereitschaft zur Mitarbeit zeigten, vor allem Äthiopien nicht. Die Frist zur Festlegung der Grenze endete im November 2007 ohne ein konkretes Ergebnis. Deshalb konnte die Entscheidung nicht umgesetzt werden.

Einige Kommentatoren der Region glauben, dass Äthiopien alles dafür getan habe, um eine Grenzziehung entlang der von der Grenzkommission im Jahre 2002 vorgeschlagenen Linie zu verhindern. Da die umstrittene Stadt Badme, die eine große symbolische Bedeutung für den Krieg 1998-2000 hatte, nach der Festlegung der Kommission Eritrea zugeschlagen werden sollte, war klar, dass nur eine Realpolitik eine Zustimmung Äthiopiens erwirken könnte.2

Andere denken, dass die eritreische Regierung keine konstruktive diplomatische Rolle gespielt habe, um die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, die Möglichkeiten zu nutzen, die Entscheidung der Grenzkommission vom Februar 2002 tatsächlich umzusetzen. Die eritreische Regierung war den Friedenstruppen feindlich gesinnt wegen der Enttäuschung über die fehlende Inkraftsetzung der Entscheidung der Kommission, schränkte deren Aktivitäten ein und verurteilte die Rolle der Vereinten Nationen und der USA zu dieser Frage.

Es ist wahr, dass die USA aufgrund ihres "Krieges gegen den Terror" ihre Politik am Horn von Afrika und zur Frage des äthiopisch-eritreischen Grenzkonfliktes völlig geändert hat. Das kann klar aus dem kürzlich erschienenen Buch "Never Surrender" von John Bolton entnommen werden, dem ehemaligen US-Botschafter bei den Vereinten Nationen. In den letzten beiden Jahren wurde klar, dass die USA als ein enger Verbündeter von Äthiopien angesehen wird. Die beiden Ländern haben beim Einsatz in Somalia Hand in Hand zusammengearbeitet. Statt ihren Einfluss für eine rechtmäßige Entscheidung zu nutzen, hat sich die USA nur für eine Partei eingesetzt.

Zudem müssen die Vereinten Nationen, die Europäische Union und andere regionale Organisationen Verantwortung übernehmen, um die zögerlichen Parteien dahingehend zu beeinflussen, dass sie dem Friedensabkommen zustimmen. Bislang zeichnet sich kein Erfolg ab.

Die Hauptverantwortung liegt aber tatsächlich bei den Regierungen von Eritrea und Äthiopien. Sie werden durch die Geschichte und ihre Bevölkerung für ihre Taten beurteilt werden. Ihr nationales Interesse sollte der Frieden sein. Sie sind verantwortlich für den Schaden, der der Bevölkerung entsteht.

Die Gründe, die für die beiden Regierungen hinter all dieser Zurückhaltung stehen und ihre negative Rolle bei der Umsetzung des Beschlusses bestimmen, mögen vielschichtig sein und in diesem kurzen Artikel nicht ausführlich zu benennen. Aber es ist ausreichend, hier zu sagen, dass die beiden Regierungen sich immer noch im Kriegszustand befinden, statt friedliche Wege zu suchen, um das Leid der Bevölkerung zu beenden. Beide Regierungen haben den Grenzkonflikt benutzt, um von ihren internen politischen und ökonomischen Problemen abzulenken. Wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, so wurden doch beide ehemaligen Freiheitskämpfer von angesehenen Menschenrechtsorganisationen angeklagt, zwei der größten Menschenrechtsverletzer auf dem afrikanischen Kontinent zu sein.

Währenddessen hat der verzweifelte Vorsitzende der Grenzkommission, Elihu Lauterpacht, bekannt gegeben, wenn das Patt fortbestehe, dann würde die Grenze automatisch als demarkiert angesehen werden. Es ist unglücklich, dass viele Menschen im Westen, der so viel Geld für die Friedenstruppe der Vereinten Nationen aufgewendet hat, nicht die Folgen dieser Situation für die Bevölkerung der beiden Länder und von Afrika erkennen.

Obwohl die äthiopische Regierung die Entscheidung der Grenzkommission offiziell nicht akzeptiert hat, überreichte die Kommission eine Karte mit der offiziellen Grenzziehung. Äthiopien forderte Verhandlungen darüber. Zuletzt hat die Kommission an beide Parteien appelliert, sich an die Entscheidung zu halten.

Nun wird ein neuer Krieg erschreckend wahrscheinlich. Beide Seiten haben ihre Truppen an der Grenze zusammengezogen und Äthiopien gab kürzlich bekannt, dass es die Aufkündigung des Friedensabkommens von Algier erwägt.

Die wachsende Rhetorik auf beiden Seiten erinnerte mich an 1998, als die beiden Staaten an der Grenze zusammenstießen. Gegenwärtig sieht es noch mehr nach einem Countdown zur Wiederaufnahme der Feinseligkeiten aus.

Anders als der erste zweijährige Krieg von 1998 bis 2000 könnte ein zweiter Krieg noch größere Zerstörungen zur Folge haben und schlimme Konsequenzen nicht nur für die beiden Staaten, sondern auch für die gesamte Region. Es sieht so aus, dass die beiden Regierungen nichts aus der Vergangenheit gelernt haben. Aber ich glaube, dass die Bevölkerung, die am meisten unter dem Krieg gelitten hat, genug daraus gelernt hat. Die Frage ist hier, was getan werden kann, um einen erneuten Krieg zu verhindern und einen friedlichen Ansatz für die beiden Länder zu erneuern - zu einer Zeit, wenn die Regierungen ihre Bevölkerung erneut im Stich lassen.

Als Mitglied der Eritreischen Antimilitaristischen Initiative und als Eritreer, der Verwandte und gute Freunde im letzten unnötigen Krieg verloren hat, habe ich dafür folgende Vorschläge:

  1. Die Bevölkerung sollte bei einem solch unsinnigen Krieg überhaupt nicht mitwirken. In dem ersten Krieg versuchten die Regierungen die patriotischen Gefühle der Bevölkerungen auszubeuten. Zu einem gewissen Maß gelang ihnen das. Dieses Mal habe ich das Gefühl, dass die Bevölkerung in beiden Ländern genug aus der Vergangenheit gelernt hat. Das gilt insbesondere für die, die in der Diaspora leben. Die Bevölkerung beider Länder sollte mehr Druck auf ihre Regierungen ausüben, um die Feindseligkeiten auf friedlichem Wege zu lösen. Wir, als Teil der Völker, sollten auf jeden Fall den Frieden verlangen. Die Grenze zwischen den beiden brüderlichen Völkern sollte kein wirkliches Problem darstellen. Es könnte gelöst werden, wenn die Interessen der Bevölkerung auf lange Sicht ernsthaft im Vordergrund stünden, statt dass die Führer beider Länder den Krieg benutzen, um ihre eigenen persönlichen Ambitionen zu befriedigen. Wir haben das Ergebnis in der Vergangenheit gesehen. Eine solche Tragödie wollen wir nicht noch einmal erleben.
  2. Wir brauchen jetzt eine konkrete Initiative der Bevölkerung, um jeden Krieg zwischen den beiden Ländern zu verurteilen. So rufe ich alle Friedensorganisationen und betroffenen Menschen auf, eine positive Rolle in einer Kampagne gegen einen möglichen Krieg zu spielen. Auch wenn die Verantwortung zur Verhinderung eines weiteren Krieges zwischen Eritrea und Äthiopien vor allem bei den Führern der beiden Regierungen liegt, will ich die Rolle der internationalen Gemeinschaft betonen, um ein mögliches totales Desaster und die Destabilisierung am Horn von Afrika zu vermeiden. In den letzten fünf Jahren haben wir Menschenrechtaktivisten eine Kampagne gegen die Menschenrechtsverletzungen geführt und haben uns für die Umsetzung der Entscheidung der Grenzkommission eingesetzt. Auch wenn die internationale Gemeinschaft Anstrengungen unternommen hat, so waren diese doch wenig zufriedenstellend, um den Konflikt wirklich zu beenden.
  3. Die Friedenstruppen der Vereinten Nationen sollten nicht ewig zwischen den beiden Ländern stationiert sein. Die Vereinten Nationen sollen sich auf die wesentliche Frage konzentrieren und den toten Punkt auf der Basis der Entscheidung der Grenzkommission überwinden.
  4. Wir brauchen eine Diplomatie der Völker aus beiden Ländern. Der Eritreischen Antimilitaristischen Initiative ist die Bedeutung einer solchen Diplomatie bewusst. Sie arbeitet mit ähnlich gesinnten Äthiopiern zusammen, um jede Art von Militarismus in Äthiopien und Eritrea zu verurteilen. Rechtzeitig wurde die Initiative der äthiopischen KriegsgegnerInnen gegründet. Ich rufe andere EritreerInnen und ÄthiopierInnen dazu auf, zusammen zu arbeiten und auf ihre Regierungen einzuwirken, um das Problem friedlich zu lösen.

Fußnoten

1. nach Michela Wrong

2. ebenda

Abraham Mehreteab: Are the leaders of Eritrea and Ethiopia going to fail their people again? Dezember 2007. Übersetzung: Rudi Friedrich und Thomas Stiefel.  Dieser Beitrag erschien in: Connection e.V. und Ethiopian War Resisters’ Initiative (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem Friedenspfarramt der EKHN: Broschüre "Gegen Krieg und Diktatur in Äthiopien", Januar 2008. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Förderverein Pro Asyl, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) und Bertha-von-Suttner Stiftung.

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