Kimberly Rivera

Kimberly Rivera

„Ich sehe mich als Kriegsdienstverweigerin“

US-Kriegdienstverweigerin kurz vor dem Prozess wegen Desertion

von Kimberly Rivera

Die Kriegsgegnerin Kimberly Rivera steht kurz vor Beginn ihres Verfahrens wegen Desertion vor dem Militärgericht in Fort Carson, Colorado. Bob Meola von Courage to Resist sprach mit ihr über ihre aktuelle Situation, ihre Gedanken und Gefühle angesichts der am 29. April beginnenden Verhandlung. Wenn sie wie erwartet verurteilt wird und weiter in Haft ist, bleibt ihr Ehemann Mario zurück, der ihre vier kleinen Kinder versorgen muss.

Kimberly Rivera: „Ich bin angeklagt wegen Desertion mit der Absicht, nicht mehr zurückzukehren und mich vor gefährlichen Einsätzen zu drücken. Ich fühle, dass es nicht dazu hätte kommen sollen, auch nicht zu irgend einer negativen Auswirkung für die Menschen, die ich verlassen hatte. Wenn Du moralisch gegen das bist, was Du tust und nicht daran glaubst, wenn Du aus Deinem Herzen heraus keiner anderen Person etwas antun kannst, nur noch Dir selbst, dann sollte es einen Weg heraus geben. Ich muss mit einer Haftstrafe rechnen, über die ein Richter entscheidet und das kann meines Wissens Haft bis zu fünf Jahren sein.

Meine Schübe von PTSD (Posttraumatisches Stresssyndrom) sind schrecklich. In Kanada hatte ich als Freiwillige in einer Gemeinde gearbeitet, was mir half, damit umzugehen und ruhiger zu werden. Ich habe in Suppenküchen ausgeholfen, im Gemeindegarten gearbeitet und war auch in der Schule meiner Kinder aktiv. Ich erhielt auch eine Beratung, nachdem die Medikamente bei mir nicht angeschlagen haben und ich ging zu einem Kunstworkshop.

Bis heute kann ich keine Waffe halten oder bedienen ohne Angstzustände zu kriegen und nervös zu werden. Seit ich zurück in der Armee bin, gehe ich jeden Tag zur Arbeit. Seit ich die Rolle einer Soldatin spiele, sind meine Angstzustände wieder da. Es wurde schlimmer, umso näher der Prozess rückte. Für eine Weile habe sie mich Waffen reinigen lassen und allein das machte mich nervös und steigerte meine Angstzustände. Wir sollen sie säubern, warten und auf ihre Funktion überprüfen. Einmal wurde ich dabei ohnmächtig.

Marios Gesundheitszustand war für eine Weile schlecht, aber es wird nun besser. Ohne mich zu sein, ist schwierig für ihn, da er sich um vier Kinder kümmern muss und dies den größten Teil seiner Zeit beansprucht. Wäre ich zu Hause, würde ihm das sehr helfen. Es wäre auch sehr gut für meine Kinder, die mich sehr vermissen. Christian hat Depressionen, Rebecca auch. Katie ist verschlossen und öffnet sich anderen nicht länger. Sie hat Schwierigkeiten damit zu akzeptieren, dass ich eine Weile weg bin und will, dass ich nach Hause komme. Aber ich kann nicht. Das zerbricht mir das Herz. Sie sagt, dass sie losgehen und mich retten muss. Gabriel hat aufgehört zu essen und braucht Pediasure (spezielle Kindernahrung). Es geht ihn hart an, dass ich weg bin.

Ich hatte ihn gestillt, bis ich in die USA zurückkehren musste und an der Grenze verhaftet wurde. Er hing an mir. Alle hingen und hängen an mir. Meine Schwiegermutter war letzten Monat zwei Mal im Krankenhaus. Ihr Gesundheitszustand hat sich verschlechtert und ich bin Marios Eltern sehr dankbar, dass sie trotz all ihrer Probleme alles tun, um mir und auch meinen Kindern zu helfen. Die Tatsache, dass ich zu einer Haftstrafe verurteilt werden könnte, bricht meiner Schwiegermutter das Herz und hat auch negative Auswirkungen auf ihr Herz. Die Ärzte haben ihr gesagt, sich keinen Stress auszusetzen, nicht an negative Dinge zu denken und Ruhe zu geben. Aber sie sagte mir, wie könne sie das, wenn ihre Tochter dem ausgesetzt ist, was nun ist? Marios Brüder und sein Vater schauen ständig nach ihr und den Kindern. Wenn ich Mario nicht immer wieder hier hätte, ich wüsste nicht, wie es mir ginge. Ich bin dankbar dafür. Ich muss nach Hause zurückkehren, um meine Schwiegermutter zu erleichtern, um ihr zu helfen, um mit meinen Kindern zusammen sein zu können und so wieder glücklich zu werden, um meinem Ehemann zu helfen, so dass wir wieder eine Familie sein können.

Als ich mit dem Militärpfarrer über meine moralischen Gründe sprach, wurde mir keine Alternative und keine Hilfe angeboten, bevor ich unerlaubt die Armee verließ. Ich wusste nichts von der Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung, weil die Informationen dazu nicht zur Verfügung standen, zumindest nicht für mich. Ich erhielt trotz meiner Bedenken keine Frist, es wurden mir keine Möglichkeiten angeboten – und nun, da ich von der Dauer eines Verfahrens zur Kriegsdienstverweigerung weiß und wie viel später eine Anerkennung oder Ablehnung ausgesprochen wird, muss ich sagen, dass dies jeden entmutigen würde.

Als ich im Irak ein Mädchen vor Angst zittern sah, vor Angst vor mir, weil ich eine Uniform trug, konnte ich nicht ermessen, was sie durchgemacht hatte. Ich sah nur mein eigenes kleines Mädchen und wollte sie halten und ihr Trost spenden. Aber ich wusste, ich durfte es nicht. Es brach mir das Herz. Ich bin dagegen, irgendjemanden zu verletzen. Was ich sah, fühlte und wusste: Wenn ich in eine solche Situation kommen würde, könnte ich niemanden aus welchem Grund auch immer verletzen. Ich würde eher mich selbst verletzen. Ich fühlte, dass ich mich auch gegenüber meiner Einheit verpflichtet fühlte und ich durfte nicht der Grund sein, dass irgendjemand wegen mir verletzt werden würde – deswegen ging ich.

Es ist schwierig zurück zu sein. Jeden Tag vorzugeben, Soldatin zu sein, ist schwierig. Ich bin es nicht. Ich war am Gemeindeleben in Toronto sehr stark beteiligt. So kenne ich die Menschen. Ich arbeitete im Garten der Gemeinde. Meine Kinder waren ständig mit mir dort, wenn sie konnten. Ich liebte es. Die Menschen, die ich dort kannte, waren toll und jeder half dem anderen. Jetzt kann ich meine Kinder noch nicht einmal sehen. Und als ich Weihnachten die Möglichkeit gehabt hätte, sie zu sehen, wurde mir das von meinem Feldwebel verweigert. Ich konnte sie also nicht sehen, nur zwei Tage zu Thanksgiving, als Mario mit allen vier zu mir kam. Ich bin so lange von ihnen getrennt, ich vermisse sie sehr. Es ist nun acht Monate her, seit ich von ihnen getrennt bin und ich weiß nicht, wann ich sie wiedersehen will. Das macht mich nervös, es macht mir Angst.

In Toronto war es eine liebevolle Gemeinschaft. Sie war gefühlvoll und unterstützend. Hier bin ich isoliert. Ich gehe jeden Tag zur Beratung und zu einer Gruppe.

Auch wenn ich nicht offiziell einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt habe: Ich selbst sehe mich als Kriegsdienstverweigerin aller Kriege."

Bob Meola, Courage to Resist: Interview with Kimberly Rivera. 23. April 2013. Übersetzung: rf. Quelle: www.couragetoresist.org/kimberly-rivera/987-rivera-trial-next-week.html. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2013

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