Türkei: Neuer Erlass bedroht Kriegsdienstverweigerer
(09.10.2017) Am 22. Juni gab die türkische Regierung einen neuen Erlass heraus, mit dem ab sofort eine Rekrutierung derjenigen möglich wird, die als Mitglieder terroristischer Organisationen angesehen oder mit diesen in Verbindung gebracht werden.
Der während des Ausnahmezustandes ergangene Erlass Nr. 691 ergänzt das Militärdienstgesetz und besagt: „Wer Mitglied einer terroristischen Organisation oder einer anderen Organisation ist, die sich an Aktionen gegen die nationale Sicherheit beteiligt, oder mit dieser in Zusammenhang steht, wird zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet.“
Nach verschiedenen Quellen zielt das Gesetz auf die Personen der Beamtenschaft, die durch vorherige, während des Ausnahmezustandes ergangene, Erlasse kürzlich aus ihren Diensten entlassen wurden, wie z.B. Polizisten. Andere betonen, dass die unklare Formulierung des Gesetzes alle politischen Dissidenten, die bislang keinen Militärdienst abgeleistet haben, dem Risiko aussetzt, zwangsweise rekrutiert zu werden.
Nach Angaben der Menschenrechtsanwältin und Vorstandsmitglied der WRI, Hülya Üçpınar, wird mit dem neuen Erlass die Wehrpflicht als Mittel zur Einschüchterung politischer Dissidenten benutzt. Wer aufgrund zuvor ergangener Erlasse bereits entlassen wurde, so Üçpınar, könnte als erstes unter die neue Regelung fallen. Zudem sei klar, dass sich das Gesetz gegen alle politischen Dissidenten richte. Die Regierung könnte das Ziel haben, Militärdienstentzieher unter stärkere Kontrolle zu stellen. Das würde bedeuten, dass sich die Bedingungen sowohl für Militärdienstentzieher wie auch für Kriegsdienstverweigerer verschärfen.
Davut Erkan, Rechtsanwalt und Mitglied des Vereins für Kriegsdienstverweigerung (Vicdani Ret Derneği) betont die willkürliche Verfahrensweise der neuen Regelung gegenüber politischen Dissidenten seit Beginn des Ausnahmezustandes. In der Praxis bedeute dies für den neuen Erlass, dass politische Dissidenten willkürlich mit terroristischen Organisationen in Verbindung gebracht werden können, ohne irgendein angemessenes rechtsstaatliches Verfahren. Auf diese Weise drohe ihnen die zwangsweise Rekrutierung.
Erkan ergänzte, dass insbesondere Kriegsdienstverweigerer, die Teil der kurdischen oder einer anderen linken Bewegung sind und diesbezüglich Erklärungen abgegeben haben, von diesem Gesetz betroffen sein können. Die Regierung könne sie willkürlich mit diesen Organisationen in Verbindung bringen und somit der zwangsweisen Rekrutierung aussetzen.
Die Praxis wird von den durch das Verteidigungsministerium herauszugebenden Regelungen zur Umsetzung des Erlasses abhängen, die bislang nicht bekannt gegeben wurden.
War Resisters‘ International: Turkey - New Executive Decree threatens conscientious objectors, 8. Oktober 2017. Übersetzung: rf. Quellen: Hurriyet Daily News: New decree law in Turkey imposes military service on terror convicts, 23. Juni 2017; Gazete Karinca: Son KHK’deki düzenleme: ‘Fişleyerek askere gönderme var, bütün muhalifler etkilenebilir ’, 23. Juni 2017; Gazete Duvar: Hedefte ihraç edilmiş polisler ve akademisyenler mi var?, 23. Juni 2017; HaberTurk: Yeni Kanun Hükmünde Kararname yayınlandı, 22. Juni 2017.
Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2018
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